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Der Enkel, das Grosi und das «kleine Problem»

Der schönste, klügste, aufgeweckteste Enkel aller Zeiten, also nach wie vor meiner, und ich, sein Grosi, haben ein «kleines» Problem und dieses wird, naturgemäss, immer grösser.

Es gibt nämlich jetzt einen zweiten schönsten, klügsten, aufgewecktesten Enkel aller Zeiten. Das ist für uns beide nicht ganz einfach. Einerseits darf ich den ersten Enkel nicht übervorteilen, andererseits hat der zweite noch nicht wirklich viel zu bieten in Sachen Geschichten. Das ist mein Problem, jenes des Enkels ist ein anderes: Er findet seinen kleinen Bruder noch nicht so prickelnd, wurde er selber doch relativ unsanft von seinem Thron gestossen. Viel anfangen mit ihm kann er auch noch nicht und er mag es nicht so, dass dieser kleine Knirps viel von der Aufmerksamkeit bekommt, die er vorher für sich alleine beanspruchen konnte.

Also haben wir zwei anfänglich entschieden, uns mehrheitlich mit uns selbst zu beschäftigen. Er kam weiterhin ein Mal pro Woche zu mir, als wäre nichts geschehen, streckte seinen Arm ins Treppenloch, plapperte mir alles nach, wollte wissen, was eine Gitarre auf der Schnapsflasche zu tun hat (eine Bouzouki auf einer Flasche Raki), warum die Kühe ihr Geschäft direkt auf der Wiese verrichten und keine Windeln tragen, warum es Frühling gebe, ob ich ihm helfen könnte, die Blätter wieder an den Baum zu hängen, wo die Schienen des Zuges enden und ob wir mal gemeinsam dorthin gehen würden, warum der eine Zug eine rote Lok habe und der andere nicht und warum Grosi alt sei und wann Grosi sterbe. So elementare Dinge halt, die nicht immer gleich leicht zu beantworten sind und davon gibt’s viele im Laufe eines Tages. Er gab mir gute Ratschläge, zeigte mir, wo wieder mal Staub gewischt werden sollte, wollte beim Kochen helfen und verstand nicht, warum mir in dieser Hinsicht nicht zu helfen ist. Er ist schon ein Grosser, ausser wenn er seinen Nuggi abgeben soll, da ist er dann doch noch ganz klein und will ihn erst abgeben, wenn er viertel vor zehn ist.

Dann kam der Moment, wo auch der zweite schönste, klügste, aufgeweckteste Enkel aller Zeiten meine Aufmerksamkeit und Betreuung brauchte und so verlagerten sich meine Treffen zu den beiden nach Hause. So langsam gewöhnt sich nun Enkel eins an Enkel zwei, hat ihn, je nachdem, was er grad erreichen möchte «mega lieb» aber wehe, er beansprucht seine Spielsachen, da kann er leicht rabiat werden. Auf gutes Zureden hat er ihm aber kürzlich eins seiner Plüschtiere überlassen. Das könne er ihm «anbieten», meinte er grosszügig. Ich habe ihn gelobt und gefragt, ob er grad einen guten Moment habe. Er hat den Kopf schräg gelegt und leicht gegrinst. Zwei Minuten später hat er sein Tierchen zurückgefordert und gesagt: «Der gute Moment ist jetzt vorbei.»

Und da sitze ich dann und frage mich, wie das eigentlich war, damals, als sein Papi und seine Schwester so klein waren und wünschte mir, ich hätte die nötige Zeit gehabt, das alles auch so intensiv zu erleben. Aber ich bin dankbar, dass ich es erleben darf mit allen Annehmlichkeiten, die so ein Grosileben mit sich bringt!

22.März
2023

Von Gabi Bucher