Die Enkel, das Grosi und der Stress
Regelmässig gehe ich nun also seit ein paar Wochen meine beiden Enkel hüten, dreieinhalb und einjährig und selbstverständlich nach wie vor die schönsten, klügsten, aufgewecktesten aller Zeiten, was auch immer andere Grosseltern behaupten mögen.
Was der Grosse fast zu vorsichtig war und immer noch ist, ist der Kleine umso aktiver. Er ist überall dort, wo er nicht sein sollte, scheint das auch zu wissen und schaut mich jeweils mit einem triumphierenden Lachen an, wenn er wieder an den Vorhängen reisst, die Fensterscheiben traktiert, an Stehlampen rüttelt und den riesigen TV-Bildschirm hin und herschiebt. Kaum auf dem Boden bringt er sich in Position, die kleinen, runden Beine angewinkelt wie ein Frosch und dann krabbelt er los in einem unglaublichen Tempo. Er zieht sich irgendwo hoch, öffnet Schränke und Schubladen, bei denen er sich regelmässig die Finger einklemmt, drückt alle Knöpfe, die er erreichen kann, dabei gehen Lichter an, Ventilatoren beginnen zu brummen, das Sofa entfaltet sich und seine Plastik-Laufhilfe piepst fröhlich «super, mach weiter so!». Er leckt an den Gummistiefeln des Grossen, stösst den Hochstuhl durch die ganze Wohnung direkt auf den mannshohen Spiegel zu, holt Schlüssel vom Regal, saugt an Buchdeckeln, bis sich diese in ihre Bestandteile auflösen und isst so ziemlich alles, was er am Boden findet. Und er liebt Kabel! Kabel faszinieren ihn, davon hat es massenweise in der Wohnung meines Sohnes und aus einem mir unerklärlichen Grund befinden sich die Steckdosen heutzutage alle unten bei den Sockelleisten. Er zieht an den Steckern, steckt sie sich in den Mund und beisst auf den Kabeln herum. Und nein, das Laufgitter, das mag er nicht. Da hopst er auf und ab und quietscht und piepst wie ein kaputtes Hörgerät.
Die beiden essen zwar noch nicht dasselbe, aber es muss zur selben Zeit sein, da gönnt keiner keinem etwas. Aber ich habe dazugelernt und heute bin ich vorbereitet. Ich setze die beiden Teller synchron auf den Tisch und ergreife den Löffel, um den Kleinen zu füttern, während der Grosse zu essen beginnt, oder beginnen will, aber ihm fehlt der Trinkbecher. Ich kenne ihn mittlerweile gut genug um zu wissen, dass ich diesen besser gleich hole. Das wiederum gefällt dem Kleinen nicht. Er schreit mir nach, während ich in die Küche gehe, der Grosse dreht sich um, um sicher zu sein, dass ich den richtigen Becher bringe und wischt dabei seinen Teller vom Tisch. Jetzt schreien beide, das heisst ehrlich gesagt schreien kurzzeitig alle drei. Ich knalle den Trinkbecher auf den Tisch, ein Löffel fliegt durch die Luft, ich versuche, wieder etwas Haltung zu erlangen und beginne, die Mittagsreste vom Boden zu kratzen. «Grosi, was chan ech jetzt ässe» schreit der Grosse, der Kleine erhängt sich beinahe in seinem Hochstuhl und ich suche im Kühlschrank nach Alternativen.
Irgendwann sind alle Probleme gelöst, die beiden gefüttert, der Kleine schläft, der Grosse hält das, was er als Mittagsruhe versteht: Er sitzt neben mir und redet pausenlos auf mich ein, aber er flüstert dabei.
Später, beim Zvieri, das heisst Früchtebrei für den einen, Banane mit Apfelschnitzen für den anderen, selbstverständlich synchron, schaut mich der Grosse verschwörerisch an und meint: «Grosi, gäu, eis Cheng esch tipptopp, aber zwöi send e huere Stress.»
23.September
2023
Von Gabi Bucher