Jeden Tag als Geschenk annehmen
Frei über sein Lebensende bestimmen! Das ist kein heiteres und auch kein einfaches Thema, ein Thema aber, das zur Winterzeit, zu den dunklen nebligen Tagen und den langen Dezember- und Januarnächten passt. Und wir sind ja auch täglich mit dem Sterben konfrontiert, oft persönlich betroffen – trauern um den Verlust von Angehörigen und Freunden. Unzählige Mitmenschen sterben täglich in Kriegen und Katastrophen oder an Krankheiten. Wir trauern und fühlen mit oder wenden uns ab, wenn wir das Elend nicht mehr ertragen. Doch was macht es mit mir, wenn es um mein eigenes Sterben geht?
Das Laientheater des Somehuus Sursee lud uns im Februar ein, über unsere existentiellen Fragen nachzudenken und dies mit der Inszenierung von «Gott» von Ferdinand von Schirach. Das Theater war eine grossartige Leistung und hat mich sehr berührt und beeindruckt.
Zusätzlich fand ein Diskussionsabend statt mit Vertreten von Exit und Palliative Care und eine Woche später wurde der Film «Amour» von Michael Haneke gezeigt. So komme ich nicht umhin, mir die folgenden Fragen zu stellen: Hätte ich das Recht, mit Exit aus dem Leben zu scheiden, wenn ich noch gesund, aber lebensmüde wäre und dies aus Sehnsucht nach meinem verstorbenen Partner? Oder möchte ich von meinem Partner gepflegt und gefüttert werden, wenn ich die Selbstständigkeit verlöre und mich nur noch eingeschränkt äussern könnte? Wie Anne im Film «Amour», berührend gespielt von Emmanuelle Riva - und ihrem Mann, dargestellt von Jean Louis Trintignant, der zunehmend überfordert ist mit der Situation und seine Frau schliesslich erstickt, aus Hilflosigkeit, aus Mitleid oder aus Liebe?
Das sind Fragen, die jede, jeder für sich beantworten muss. Im Moment bin ich gesund, doch dies kann sich schnell ändern. Und so ist es für mich zwingend, mit einer Patientenverfügung meine Vertrauensperson zu bestimmen, wenn ich nicht mehr in der Lage sein sollte, meinen Willen zu äussern. Und im Vorsorgeauftrag Menschen zu nennen, die meine Interessen wahrnehmen für meine Personen- und Vermögenssorge, sowie für den Rechtsverkehr, wenn ich nicht mehr urteilsfähig bin. Und diese Papiere und die Fragen, die sich stellen, mit meiner Familie und mit den Personen, die ich beauftragen möchte, zu diskutieren und ihr Einverständnis einzuholen.
Doch was ist wichtig für mich und mein Leben, jetzt und heute? In diesen ersten Frühlingstagen fällt es mir leichter, mich dem Leben zuzuwenden, die Lebensgeister und die Lust auf die Menschen zuzugehen erwachen wieder und die Gedanken ans eigene Vergehen treten in den Hintergrund. Es fällt mir auch leichter, jeden Tag als Geschenk anzunehmen, auf Entdeckungsreise zu gehen in der Natur und mich – trotz oder gerade wegen der desolaten Weltlage - für das Lebendige und Lebenswerte zu engagieren.
12.März
2025
Von Ruth Balmer-Marti