Das Rentnerparadies an der Ostseeküste oder Betrachtungen einer Seniorin
«Sie sind nicht allene in Kühlungsborn», sagt Ivo, der Bus-Chauffeur in seinem breiten Dialekt auf der Fahrt von Hamburg nach diesem Kühlungsborn. Wollte ich das wissen, Ivo? Und tatsächlich, wir sind bei weitem nicht allein, da sitzen schon mal eine Menge Rentner bei Kaffee und Kuchen im Gartenrestaurant unseres Hotels.
Später, auf der langen Strandpromenade, ebenfalls eine Menge Rentner, auf und ab schlendernd, ledrig braungebrannt, etliche Hand in Hand, alles verlangsamt, gemütlich. Aus den Strandcafés kommt wenig Musik und wenn, dann solche, wo sich Herz auf Schmerz und Geld auf weite Welt reimt und selten geht’s ohne Seemann oder Sehnsucht. Und dann sind da noch diese Lieder, bei denen «es» mir innerlich mitsingt, ob ich will oder nicht. Oder können Sie dem «Griechischen Wein» widerstehen?
An allen möglichen und unmöglichen Orten stehen Sitzbänke, auf der Strandpromenade gibts mehr Rollatoren als Kinderwagen oder Kickboards. Und da sind keine überquellenden Abfallkübel, alles ist sauber und ordentlich. Im Kühlungsborner Konzertgarten ist ein Open-Air-Konzert angesagt. Der Konzertgarten liegt gleich neben meinem Hotel. Mir schwant Übles für die Nachtruhe. Pünktlich um 19.30 Uhr tritt sie auf, die Victoria Theodore, die laut A4 Plakat aus dem Farbdrucker früher als Keyboarderin und Sängerin an Stevie Wonders Seite gespielt hat und danach Beyoncé begleitete. Jetzt spielt sie im Kühlungsborner Konzertgarten für Rentner, Rollatoren und Rollstühle. Das Publikum schwenkt Feuerzeuge statt Handys und am meisten Bier intus hat der Eingangskontrolleur. Aber pünktlich um 22.00 Uhr, wie ebenfalls auf dem Plakat angekündigt, ist alles vorbei, Bühne geräumt, Stühle gefaltet, Ruhe legt sich über die Kühlungsborner Srandpromenade. Und an den Abenden tut die Sonne an Mecklenburgs Ostseeküste das, was sie immer tut und hier so spektakulär inszeniert: Sie geht unter, glutrot im violett-rosa-hellgelben Meer. Dutzende Menschen sitzen andächtig am Strand und schauen ihr zu, wortlos, staunend, keine Musik, einfach nur wohltuende Ruhe.
Spätestens Ende des zweiten Tages muss ich mir eingestehen, dass ich das alles mag, ja sogar geniesse; die Ruhe, die Ordnung und die Gemächlichkeit und mir wird schlagartig bewusst: Ich bin alt geworden!
18.März
2025
Von Gabi Bucher