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Die Enkel, das Grosi und der Schnee

Einige erinnern sich vielleicht an meinen Sommer-Spaziergang mit den schönsten, klügsten, aufgewecktesten Enkeln aller Zeiten, also meinen. Damals kam ich ziemlich an meine Grenzen, oder meinte mindestens, das seien Grenzen. An Schnee dachte ich nicht... 

Der war jetzt aber gekommen, in Massen an diesem Dezembermontag. Spielgruppe war angesagt, das hiess, zwei Kleinkinder warm anziehen, Kinderwagen im Keller holen, den Kleinen reinpacken, den Grossen an die Hand und los.

Einfach so «und los» geht nicht im Winter

Nur, einfach so «und los» geht nicht im Winter. Da braucht es Schneehosen, Schneeschuhe, dicke Jacken, Kappen und haben Sie schon mal zwei Kinder anziehen müssen, die eigentlich gar nicht angezogen werden wollen? Der eine will nicht in die Spielgruppe und hat sich unter dem Tisch versteckt, der andere meint, das mit dem Sich-Unter-dem-Tisch-Verstecken sei ein Spiel. Ich befürchte, dass sich der Wortschatz der beiden um ein paar nicht wirklich so erfreuliche Ausdrücke erweitert hat.

«Bäri»

Der Hinweg war anstrengend, Pinkelpause inbegriffen, nein, zu Hause wars noch kein Thema gewesen, aber jetzt, gerade in dieser Minute am Strassenrand das dringendste! Und das mit dicker Jacke und Überziehschneehosen! Der Heimweg zwei Stunden später war um nichts besser. Der Grosse wollte Schnee räumen. «Grosi, warum hast du keine Handschuhe mitgenommen?» Hätte ich schon, hätte ich welche gefunden. Ich gebe ihm meine. «Die sind zu gross», sagt er. «Besser als keine», sage ich, das scheint er zu verstehen und räumt wacker Schnee von Bänken, Bäumen, Kübeln, Lampen, stapft unter Büschen durch, wird berieselt, schreit, aber macht trotzdem weiter, während meine Hände immer kälter werden. Der Kleine will raus aus dem Wagen, also lasse ich ihn rumstapfen, bis wir zur Strasse kommen. Nur kann ich ihn jetzt nicht mehr in den plüschig gefütterten Wintersack stecken mit seinen nassen Kleidern und Stiefeln. Das bedeutet, dass ich ihn auch nicht mehr angurten kann. Aber ich vertraue ihm. Der Grosse hängt jetzt langsam hinten nach, ich drehe mich zu ihm um, will dabei weitergehen, aber der Wagen blockiert. Ich drehe mich zurück, der Kleine sitzt auf dem Trottoir zwischen den Rädern. Rausgefallen oder doch eher selber rausgerutscht? So viel zum Vertrauen. Ich hieve ihn wieder hoch, er schreit, der Grosse mag jetzt plötzlich auch nicht mehr, seine Socken rutschen in den Stiefeln, er will sie ausziehen und setzt sich dafür aufs Trottoir. «Bäri», ruft der Kleine aus dem Wagen und zeigt auf etwas hinter mir. «Bäri» liegt ein paar Meter zurück auf dem Boden und so, wie er aussieht, bin ich mit dem Wagen darübergefahren.

Schneehaufen

Der Kleine murrt im Wagen vor sich hin, der Grosse schlurft hintennach, «Grosi, ich kann nicht rennen», aber was heisst da schon rennen, ich wusste gar nicht, dass ich so langsam gehen kann. Und als wäre das nicht genug, habe ich den einzig möglichen Strassenübergang verpasst, denn beidseits der Trottoirränder liegen riesige Schneehaufen. «Grosi, warum sind wir auf dieser Strassenseite?» fragt der Grosse. «Wegen dem Schnee», sage ich. «Aber hier geht’s doch prima» meint er. Dass es aber auf der anderen Strassenseite nicht geht, weil dort die Haufen unüberwindbar wären, begreift er nicht. Er zeigt immer wieder auf Stellen, wo wir seiner Meinung nach queren könnten und wird schon leicht panisch. Ich beisse auf die Zähne, blase mir die Hände wärmer und schlucke leer. Der Kleine hängt schräg im Wagen, der Grosse heult wieder ein bisschen, eine Passantin schaut mich vorwurfsvoll an, ich schaue vorwurfsvoll zurück – soll sie doch übernehmen!

Und wie war das nur schon wieder damals mit dem bisschen Schwitzen?

22.03.2024

Von Gabi Bucher